Emotionale Kompetenz: Warum Stärke und Verletzlichkeit keine Gegensätze sind
- Eldina Sonnenholzner
- 3. Dez. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. März
"Wenn man Karriere machen möchte, darf man nicht zu feinfühlig sein."Diesen Satz sagte Angela Merkel in einem Interview mit dem Spiegel.
Es ist kein ungewöhnlicher Satz, ähnliche habe ich auch in Unternehmen gehört. Oft getarnt als gut gemeinter Rat: "Toughen up!" – was so viel bedeutet wie: "Werde härter!"
Dieser Rat hat sich für mich jedoch nie ganz richtig angefühlt, auch wenn ich verstehen konnte, warum er in der Geschäftswelt oft als pragmatisch gilt.
Denn wenn wir uns in belastenden Momenten unseren Emotionen hingeben – etwa vor versammelter Mannschaft in Tränen ausbrechen, uns schnell angegriffen fühlen oder einen Wutausbruch haben –, hilft das weder uns noch der Situation.
Wenn wir keine unbequemen Entscheidungen treffen können, weil wir die Emotionen aller Beteiligten abwägen oder Angst haben, uns unbeliebt zu machen, kann das langfristig schädlich sein.
Also, wäre es nicht tatsächlich besser, wie Teflon zu sein und alle negativen Emotionen einfach abprallen zu lassen?

Emotionen abzublocken mag kurzfristig effektiv erscheinen, ist aber langfristig keine Lösung. Angela Merkel hat zwar Recht, dass jemand, der Karriere machen möchte, sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen lassen darf. Doch es geht nicht darum, Gefühle abzuwehren – sondern sie zu nutzen. Die Bandbreite zwischen keine Emotionen zulassen und alle Emotionen rauslassen ist breit, und die Wahrheit liegt, wie immer irgendwo dazwischen.
Und das Verständnis, keine Emotionen zu haben, ist falsch. Gefühl und Emotionen sind ein essentieller Teil des Menschseins. Die Frage ist viel mehr, wie bewusst sind wir uns unserer Gefühle und wie sehr, nehmen wir Einfluß auf das was sich aus unseren Gefühlen and Aktionen herausleitet?
Gerade in der Geschäftswelt, in der Entscheidungen oft unter Druck und Unsicherheit getroffen werden, sind Gefühle keine Schwäche. Vielmehr sind sie eine Art internes Navigationssystem, das uns wertvolle Hinweise gibt, wenn wir bereit sind zuzuhören.
Und übrigens, wenn wir nicht bereit sind ihnen zuzuhören, dann übernehmen sie früher oder später das Steuer.
Emotionen als Entscheidungs-Kompass
Antonio Damasio, ein führender Neurowissenschaftler, hat gezeigt, dass Emotionen essentiell für unsere Entscheidungsfindung sind. Seine Theorie der somatischen Marker beschreibt Emotionen als innere Leuchttürme, die uns helfen, Gefahren zu erkennen oder Chancen zu nutzen.
Unser Gehirn erzeugt in jeder Entscheidung emotionale Rückmeldungen, die uns unbewusst oder bewusst leiten. Sie warnen uns, wenn etwas nicht stimmt, oder bestärken uns, wenn wir auf dem richtigen Weg sind. Menschen, die diese emotionalen Signale ignorieren – sei es durch persönliche Blockaden oder aufgrund äußerer Erwartungen –, laufen Gefahr, Fehlentscheidungen zu treffen, die sie teuer zu stehen kommen können.
Man kann sich das wie eine Vorstandssitzung vorstellen: Der Vorstand eines Unternehmens bespricht ein Balance Sheet. Sie feiern Umsatzrekorde und sehen rosige Zahlen. Doch niemand wirft einen Blick auf die Kosten. Im Moment mag das wie ein Erfolg wirken, aber die Realität könnte das Unternehmen ruinieren.
Genauso verhält es sich mit unseren Emotionen. Wenn wir ihre Signale ignorieren, riskieren wir, wichtige Risiken oder blinde Flecken zu übersehen. Gefühle wie Unbehagen, Angst oder Frustration und auch viel subtilere Gefühle sind keine Hindernisse – sie sind präzise Alarmsignale, die uns darauf hinweisen, dass eine Entscheidung nicht mit unseren Werten oder der Realität übereinstimmt. Emotionale Intelligenz bedeutet, diese Signale wahrzunehmen, wenn möglich, zu entschlüsseln und in unseren Entscheidungsprozess einzubauen.
Emotionale Intelligenz: Der Schlüssel zu klugen Entscheidungen
Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass das Ideal darin besteht, keine Emotionen zu haben. Tatsächlich sind Gefühle und Emotionen ein wesentlicher Bestandteil des Menschseins. Sie beeinflussen unser Denken, Handeln und unsere sozialen Interaktionen maßgeblich.
Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir Emotionen haben sollten, sondern wie bewusst wir uns ihrer sind und in welchem Maße wir Einfluss darauf nehmen können, wie sie unser Verhalten leiten. Dieses Bewusstsein und die Fähigkeit zur Regulation unserer Emotionen werden als emotionale Intelligenz bezeichnet. Sie umfasst Fähigkeiten wie das Erkennen eigener Gefühle, das Einfühlen in die Emotionen anderer und das angemessene Steuern emotionaler Reaktionen.
Ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz ermöglicht es uns, unsere Gefühle bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren. Dadurch können wir besser steuern, wie unsere Emotionen unser Verhalten beeinflussen, und vermeiden impulsive Reaktionen, die wir später bereuen könnten. Dies führt zu konstruktiveren Entscheidungen und fördert gesündere zwischenmenschliche Beziehungen.
Die Fähigkeit, mit den eigenen Emotionen umzugehen und sie gezielt einzusetzen, ist keine Selbstverständlichkeit. Besonders in Führungsrollen ist emotionale Intelligenz unerlässlich.
Eine Führungskraft, die emotional abgeschottet handelt, mag Entscheidungen schnell durchsetzen, wird aber langfristig den Schaden an den Beziehungen im Team oder der Unternehmenskultur ignorieren.
Emotionale Intelligenz hingegen erlaubt es, innezuhalten und zu reflektieren: Was fühle ich gerade? Was signalisiert mir mein Unbehagen? Und kann ich für einen Moment Raum geben und diese Gefühle spüren? Denn so wie bei der Nahrung haben auch Gefühle eine Art Verdauungssystem. Wir kennen alle den Spruch nach einer schwierigen Nachricht: "Das muss ich erst mal verdauen!".
Dieser Prozess führt dazu, dass wir nicht mehr von unseren Gefühlen vereinnahmt werden. Dann ist die Angst noch da, aber sie agiert als wertvoller Berater.
Diese bewusste Selbstführung führt zu überlegteren und nachhaltigeren Entscheidungen – sowohl für sich selbst als auch für die Organisation.
Starker Rücken, weiches Herz
Hier hilft mir das Konzept von Roshi Joan Halifax: „strong back, soft front“. Auf Deutsch: „starker Rücken, weiches Herz“.
Ein starker Rücken steht für innere Stabilität, Resilienz und die Fähigkeit, Drucksituationen auszuhalten. Es ist das Rückgrat, das uns erlaubt, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn die Entscheidungen schwierig sind und sich selbst treu bleiben.
Das weiche Herz hingegen symbolisiert Offenheit und Verletzlichkeit. Wir verschließen uns nicht, sondern bleiben weiter empfänglich.
Es bedeutet, unsere Gefühle nicht als Schwäche zu sehen, sondern als Ressource, die uns klügere, menschlichere Entscheidungen ermöglicht. Es gibt uns die Fähigkeit, uns selbst und anderen empathisch zuzuwenden – ohne den Kontakt zu unserer Klarheit zu verlieren.
Innehalten: Die wahre Stärke im Business
Die Verbindung aus innerer Stärke und äußerer Offenheit ist kein Balanceakt, sondern ein bewusster Umgang mit unseren Gefühlen. Es geht darum, in schwierigen Momenten innezuhalten, die Signale unserer Emotionen wahrzunehmen und einen bewussten Schritt zurückzutreten.
Dieser Prozess, den ich als „inneren U-Turn“ bezeichne, ist die Grundlage für achtsames Handeln. Anstatt impulsiv zu reagieren oder Emotionen abzuwehren, wenden wir uns ihnen zu und nutzen sie als Ressource für nachhaltige Entscheidungen.
Vielleicht geht es am Ende gar nicht darum, härter zu werden, sondern mutig genug, unsere Gefühle anzunehmen und uns von ihnen informieren zu lassen.
Wir gehen in Verbindung mit unseren Gefühlen und so werden sie zu unseren Verbündeten. Dann muss ich aus Angst nicht beginnen, meine Mitarbeiter zu kontrollieren, sondern vielleicht kann ich langsamer werden, mich von der Angst beraten lassen, erkennen, wo tatsächlich Gefahren herrschen und eine smarte Strategie, zusammen mit der Angst als Berater verfolgen, anstatt mich von der Angst führen zu lassen.
Denn echte Stärke zeigt sich darin, Verantwortung zu übernehmen – für uns selbst, unsere Emotionen und die Menschen, die von unseren Entscheidungen betroffen sind. Das ist Selbstführung.
Comments